Intellektuelles Kapital

Die Verlernende Organisation

Ich habe eine Weile gezögert, diesem Beitrag diesen Titel zu geben, weil der Begriff des ‚Verlernens‘ durchaus positiv konnotiert sein kann im Sinne eines Wissensbalast Abwerfens, gedanklichen Raum für Neues Schaffen. So ist er hier aber nicht gemeint, sondern eindeutig negativ im Sinne einer Zurückentwicklung der Organisation und eines Verlustes an organisationalem Wissen, im Grunde einer Verblödung der Organisation.

Ich erlebe das in der letzten Zeit immer häufiger, vor allem bei Konzernen. Dabei geht es weniger um konkret fachliches Wissen, das direkt bezogen auf die Leistungen des Unternehmens bzw. Geschäftsbereiches ist, als um Wissen aus weicheren Umfeld-Wissensdomänen wie beispielsweise Qualitäts- und Risikomanagement und Compliance (wo ich ebenfalls beratend tätig bin). Ich habe mir Gedanken gemacht, welche Ursachen dieses nicht intendierte, aber akzeptierte, weil nicht wahrgenommene Verlernen hat:

  • Das Wissen wird beim Onboarding neuer Organisationsmitglieder nicht oder nicht angemessen vermittelt. Gerade bei als bürokratisch verschrienen Themen wie Qualitätsmanagement und Compliance sind entsprechende Trainings oft lieblos gestaltet. Dazu gehört, dass oftmals die Hintergründe für bestimmte Vorgaben und Prozesse, das Know-why, und damit verbunden auch ihr Nutzen gerade nicht thematisiert werden. Damit sind Lernmotivation und Aufmerksamkeit denkbar niedrig. Falls diese Themen überhaupt Bestandteil eines Onboarding sind.
  • Diese kontinuierliche Erosion der organisationalen Wissensbasis wird zunehmend zu einem Erdrutsch, wenn gleichzeitig die Fluktuation hoch ist. Aufgrund wiederholter Restrukturierungen und aufgrund zunehmendem Outsourcings. In das Onboarding externer Organisationsmitglieder wird in der Regel noch weniger Aufwand investiert. Vielmehr besteht die Auffassung, dass ein gewissermaßen fertiger Service eingekauft wird. Zeit und Budget für organisationsspezifische Kompetenzentwicklung sind nicht oder nur in geringem Umfang eingeplant. Noch weniger, wenn seitens des beauftragten Vendor dann noch auch diese externen Kräfte rasch wechseln, schließlich wird ja nicht eine bestimmte Person angefordert und beschäftigt, sondern eine nicht-personalisierte Leistung, deren Träger:in austauschbar ist.
  • Ach ja, wiederholte Restrukturierungen: So wichtig es frei nach Dirk Baecker ist, eine Organisation immer mal wieder in Unordnung zu bringen, damit sie nicht stagniert, so schädlich sind in rascher Abfolge verordnete Restrukturierungen. Was passiert: Gerade so genannte deep smarts, also kritische (Erfahrungs)Wissensträger verlassen die Organisation. Rollen und Zuständigkeiten bleiben oft über einen zu langen Zeitraum ungeklärt, sodass das damit verknüpfte organisations-implizite Wissen versickert. Organisationsbasen im Kleinen, d.h. in etablierten Teams gehen verloren. Und auch hier wieder, der gezielte und systematische Transfer von dem oben beschriebenen Wissen, das mittelbar auf die Leistungserbringung wirkt, ist selten Bestandteil von Restrukturierungsmaßnahmen.

Der so genannte root cause hinter diesen Phänomenen ist, dass das Bewusstsein für die Bedeutung dieses Wissens in der Organisation verloren gegangen ist. Bezogen auf Qualitäts- und Risikomanagement sowie Compliance ist es die fehlende Erfahrung fehlgeschlagener Audits, eingetretener Risiken usw. D.h. das Bewusstsein, dass dieses Wissen ein notwendiges ist, geht mangels konkreter Erfahrung mit der Zeit verloren. Das dazu gehörende mindset verblasst. Gleichzeitig steigt mit zunehmendem Verlust dieses Wissens gerade die Wahrscheinlichkeit von Audit-Versagen und Risiko-Eintritt. Haben wir hier eine Art von unausweichlichem Kondratjew-Zyklus? Sind Lernende und Verlernende Organisation auch in dieser negativen Lesart immer miteinander verschränkt?

Was meinen Sie? Und sehen Sie noch weitere Ursachen für das Verlernen? Ich freue mich auf eine Diskussion!

Studie zu immateriellen Vermögenswerten in Non-Profit-Organisationen

Aktuell läuft eine Studie des Stuttgarter Non-Profit-Forums zum Status einiger Faktoren des intellektuellen Kapitals in Non-Profit-Organisationen. Nehmen Sie sich doch 10-20 Minuten Zeit, um einige Fragen zur Einordnung Ihrer Organisation – sofern Sie denn in einer Non-Profit-Organisation arbeiten – im Kontext ‚Wissen‘ zu beantworten! Hier geht es zur Studie.

Die Ergebnisse der Studie werden beim diesjährigen Stuttgarter Non-Profit-Forum am 7. November vorgestellt, zu dem Sie sich auch bereits hier anmelden können. Bis 31. August übrigens noch mit einem Rabatt für die frühen Vögel.

Interview zu Return on Education

Interview zu Return on Education
DGQ Blogbeitrag mit Interview

Auf dem letztjährigen Q-Tag der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) wurde ich zur spannenden Frage der Wirkungsmessung von Bildungsmaßnahmen (Return on Education) interviewt. Das Video ist nun im Blog der DGQ online.
Ein schriftliches Interview mit mir als DGQ-Expertin zum gleichen Themenkomplex erscheint im April in der Fachzeitschrift wissensmanagement.

Und a propos, Wirkungsmessung: Demnächst veröffentlicht wird außerdem ein DGQ Whitepaper von mir zur Frage der Wirkungsmessung im Wissensmanagement im Kontext der ISO 9001. Ich halte Sie auf dem Laufenden.

Was ist ein Team?

Was ist ein Team?
Frauenfußball D-Jugend Berlin

Diese Woche wurde ich in einem Interview für ein neues Projekt gefragt, wie ich ‚Team‘ definiere. Hier die Definition, die mir spontan im Gespräch eingefallen ist (das Interview war in englischer Sprache, daher auch die Definition):

A team is a group of (diverse) persons sharing a goal or even a vision and knowing and trusting each other well enough to also share their individual knowledge and experiences, ideas and creativity, and, not least, their workload.  At its best, a team is a learning organization generating synergy, knowledge and fun and ending up with more than the mere sum of its single parts.

Was meinen Sie? Trifft es das? Sind Sie Teil eines solchen Teams? Was braucht es, damit ein Team sich dahin entwickelt?

Ich freue mich auf Ihr Feedback.

 

Bild: http://www.tip-berlin.de/

Age of Experts?

Age of Experts?
einstein - ein anerkannter und bewunderter Experte

Wir leben in wissensintensiven Zeiten und damit, so sollte man annehmen, quasi automatisch in einer Hochzeit des Expertentums und der Experten. Aber ist das tatsächlich so?

Einerseits ja, denn rein quantitativ betrachtet, sind wir jederzeit und überall umzingelt von Experten zu allen möglichen relevanten und irrelevanten Themen. Denken Sie nur an die in Dauerschleife laufenden Informationssendungen und Talk Shows. Doch kommen dort tatsächlich Experten zu Wort oder eher Expertendarsteller? Also Menschen, denen es teilweise perfekt und unterhaltsam gelingt, ihre mehr oder oft auch weniger vorhandene Expertise in schnittige und medienkonforme 10-Sekunden-Schnipsel zu packen. Wobei allzu oft nur Allgemeinplätze übrig bleiben oder die Grunderkenntnis, dass die Dinge halt schon recht komplex seien. Aha, denken wir da, das weiß ich auch ohne den Experten.

So entwertet diese Inflation von (Schein-)Experten zunehmend das eigentliche und in wissensintensiven Zeiten tatsächlich so notwendige Expertentum.

Und daran tragen wir selbst unseren Anteil, denn wollen wir nicht unterhalten werden? Simplify als Motto? Schon Max Weber stellte vor 100 Jahren fest, dass die Frucht vom Baum der Erkenntnis „aller menschlichen Bequemlichkeit unwillkommen“ sei. Und Einstein mahnte zwar, die Dinge einfach zu machen, aber eben nicht einfacher als sie nun mal sind.

Auf der einen Seite, nennen wir sie im klassischen Wissensmanagement-Jargon die Wissensnehmer, haben wir also den Ruf nach größtmöglicher Einfachheit (eventuell sogar gepaart mit dem Wunsch nach Unterhaltung).

Auf der anderen Seite, der der Wissensgeber, haben wir die Experten-Inflation, die diesem Wunsch nur zu bereitwillig nachkommt und dafür auf einen echten Wissenstransfer, echte Möglichkeiten zur Lehren und zu Lernen, Verständnis zu schaffen und Horizonte zu erweitern verzichtet.

Auf der Seite der Wissensgeber haben wir aber auch die Experten-Elite, die es keineswegs für notwendig erachtet die Anforderungen der Wissensnehmer zu berücksichtigen. Auch hier findet ein echter Wissenstransfer, ein echtes Lernen – wenn auch aus anderen Gründen – nicht statt.
Kürzlich war ich, wie die regelmäßigeren Leser meines Blogs bereits wissen, für einen Kunden in Shanghai, um in der dortigen Niederlassung des Unternehmens die lokalen Experten – in diesem Fall offizielle Teilnehmer einer Fachlaufbahn im Unternehmen – in Sachen erfolgreichem Wissenstransfer zu trainieren. Natürlich haben wir auch darüber gesprochen, wie der Transfer aus der deutschen Zentrale nach China denn so funktioniere. Und allzu oft war der Eindruck, dass die deutschen Experten ihre deutschen Lösungen präsentieren, ohne sich zu bemühen, diese kritisch zu hinterfragen und ggf. an einen spezifisch chinesischen Kontext anzupassen, und dass Ideen, Meinungen, Rückmeldungen, Erfahrungen aus China nicht gehört werden. Wir die Experten, die anderen unreife „Schüler“, diese Einstellung scheint, bewusst oder unbewusst, bei vielen vorzuherrschen.

Vielleicht ist es ja aber auch gar keine grundsätzliche Hybris der Experten, sondern ein vielfältiges Unvermögen:

  • mangelnde Kompetenz in der Vermittlung (auch komplizierter und komplexer) Sachverhalte
  • zu wenig Zeit, Dinge gemeinsam zu entwickeln, zu hinterfragen, anzupassen
  • zu wenig Zeit, damit beim Empfänger Verständnis auch reifen kann
  • mangelnde Motivation für einen echten Transfer, weil seitens der Führung nicht wahrnehmbar wertgeschätzt (entsprechende zeitliche Freiräume wären ein Zeichen einer solchen Wertschätzung)

Es geht also, mal wieder, um das Gestalten förderlicher Rahmenbedingungen für Wissensarbeit. Und dabei genügt es nicht, wenn das Wissensmanagement über Gelbe Seiten oder vergleichbare Tools Experten sichtbar macht, Das ist nur der allererste, kleinste und einfachste Schritt.

 

Bild: Media 1 faz.net

Die wunderbare Welt des kognitiven Kapitalismus

Die wunderbare Welt des kognitiven Kapitalismus
Wissensarbeit-oder-Museum

Ich bin erst kürzlich über ein schon nicht mehr neues, aber doch für mich neues Schlagwort gestolpert, mit dem einmal mehr versucht wird, unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung und ihre Umwälzungen zu beschreiben: kognitiver Kapitalismus.

Der kognitive Kapitalismus bezeichnet – im Gegensatz (?) / in der Weiterentwicklung (?) des industriellen Kapitalismus – eine ökonomische Ordnung, deren Rohmaterial Kreativität und vornehmlich neues und innovatives Wissen sind. Es bezeichnet aber damit nicht nur die schöne und saubere Welt der freien Wissensarbeit(er), sondern auch die zunehmende Transformation von Daten, Informationen und Wissen zur Ware.

Vielleicht ist deshalb dieser Begriff des kognitiven Kapitalismus ehrlicher als der altvertraute der Wissensgesellschaft: Wissen ist unser sehr persönliches Kapital als Wissensarbeiter, was uns eine in der bisherigen Geschichte ungekannte Freiheit und ja, auch Macht verleiht. Gleichzeitig wird Wissen, oder vielmehr seine Grundlagen, also Daten und Informationen, immer stärker kapitalisiert – Stichwort Data Harvesting à la Google und Co. Mit teilweise durchaus auch ethischen Konsequenzen, die wir noch nicht überschauen oder auch uns eingestehen wollen.

Der kognitive Kapitalismus also – ein zweischneidiges Schwert. Und damit als Begriff im richtigen Maß irritierend.

Bild: Museum der Arbeit, Hamburg