Narrative economics und die Wissensbilanz
Tatsächlich habe ich mich schon lange nicht mehr mit dem Thema der Wissensbilanz, insbesondere der Wissensbilanz – Made in Germany auseinandergesetzt. Eigentlich nur, wenn es im Rahmen einer meiner Vorlesungen, eher kurz, zur Sprache kommt. Nun musste ich aber bei einer Lektüre zu narrative economics stark an dieses Konzept denken. Der Begriff stammt vom Nobelpreisträger Robert Shiller.
Was meint narrative economics? Gemäß Niklas Luhmann kann Zukunft nicht beginnen (so der Titel eines Aufsatzes von ihm), weil sie immer die Projektion einer herrschenden Gegenwart sei. Jens Beckert vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung bringt es auf den Punkt: „Es gibt keine zukünftigen Fakten.“ Damit sei jede Beschreibung einer Zukunft eine Erzählung, auch in ökonomischen Modellen. Narrative economics eben. Der Kern von ökonomischen Modellen ist jedoch nicht die Erzählung, sondern die Information. Nichtsdestotrotz, wird unser Handeln als Individuum, als Organisation oder als staatlicher Akteur von imaginierten Zukünften bestimmt. Wir entscheiden und handeln im Ungewissen. Was bestimmt unsere Richtung?
Hier kommen wir, laut Shiller und Beckert, zurück zur Erzählung. Denn Zukunftsprognosen, an denen wir unser Handeln ausrichten, sind Erzählungen. Diese werden nun glaubwürdig, wenn laut Beckert drei Bedingungen erfüllt sind:
- Nachprüfbare Fakten gehen in die Erzählung ein.
- Die Geschichtenerzähler:innen haben eine vertrauenswürdige Reputation.
- Die Geschichtenerzähler:innen binden sich selbst an ihre Geschichte, d.h. z. B. halten Aktien am eigenen Unternehmen, und zeigen dadurch, dass sie selbst an deren Eintreten glauben.
Was ist eine Wissensbilanz anderes als eine Zukunftserzählung einer Organisation? Mit Fakten (Leistungsindikatoren), vertrauenswürdiger Reputation (Mitglieder der Organisation selbst erzählen die Geschichte) und Selbstbindung (die Bilanz schließt an die Geschäftsstrategie an und manifestiert sich in konkreten Handlungen, die die Zukunft der Organisation mitgestalten).
(Jens Beckert: „What makes an imagined future credible?“, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Discussion-Paper 24, 5. Juli 2024)